Eine Schulfreundin, die in Hamburg studiert, ein Cousin, der in Dresden kellnert oder der Vater, der sich als Tagelöhner in München durchschlägt. 39.000 Bulgar_innen entschieden sich allein im letzten Jahr nach Deutschland auszuwandern. Insgesamt leben und arbeiten rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung im Ausland. Auswanderungsland ist das Ettikett mit dem Bulgarien dabei gerne bedacht wird. Mit der bulgarischen EU-Mitgliedschaft und dem bevorstehenden Beitritt Bulgariens zum Schengenraum scheint solch eine eindeutige Kategorisierung jedoch zu verschwimmen, denn die bulgarische Südgrenze wird zu einer Außengrenze des Schengenraums werden – und bekommt damit neues Gewicht. Mit genau dieser Diffusität und Vielfalt von Grenzen hat sich das Projekt „grenz\verläufe“ befasst – mit dem Innen und Außen von Grenzen.

Workshop und Fotoexperiment
In einem zweitägigen Workshop am 16. und 17. Juni wurden SchülerInnen der 9., 10. und 11. Klassen verschiedener Gymnasien aus Ruse an die vielfältige Thematik herangeführt: Wo verlaufen Grenzen heute? Welche Bedeutung hat Migration – z.B. nach Deutschland – in ihren Familien und in ihrem Freundeskreis. Und: Wie sieht die Lebensrealität von MigrantInnen heute aus, im vermeintlichen Auswanderungsland Bulgarien, im Bulgarien außerhalb des Schengenraums. Djaved Nouri, der vor 7 Jahren aus Aufghanistan nach Sofia gekommen ist und bis heute keine gesicherte Aufenthaltsgenehmigung hat, hat den Jugendlichen von seinen Schwierigkeiten in Bulgarien erzählt. Zwei Freiwillige der Rotkreuzjugend aus Sofia, Boris Bongalov und Liubomira Labova, haben den Workshop geleitet. Als Teil einer EU-weiten Kampagne hat im Dezember 2010 das Rote Kreuz Sofia das „Positive Images“-Projekt gestartet, das für die Lebenswelten von MigrantInnen in Bulgarien sensibilisieren soll. Im zweiten Teil des Projekts haben sich die SchülerInnen in Kleingruppen selbst auf die Suche begeben, nach den sichtbaren und unsichtbaren Grenzverläufen in ihrer Umgebung – ausgerüstet mit Einweg- und Handykameras. Yavor Sedyankov, der schon an vielen Fotoprojekte der Canetti Gesellschaft mitgewirkt hat, stand den Jugendlichen als professioneller Photograph zur Seite. Die Ergebnisse des Fotoexperiments wurden am 24. Juni der Öffentlichkeit präsentiert und im Canetti-Haus ausgestellt.


Filmvorführung und Diskussionsveranstaltung

Der Film „Bulgarcki Guantanamo“ dokumentiert die schockierenden Zustände in dem bulgarischen Flüchtlingslager Busmantsi. Der Schriftsteller und Journalist Ivan Kulekov hat Flüchtlinge und Lagerleitung interviewt, mit ehemaligen Insassen und Anwälten gesprochen. Er zeigt individuelle Schicksale und enthüllt das Gegen-und Miteinander von bulgarischen und EU-Asylgesetzen. Auch Djaved Nouri hat an dem Film mitgewirkt. Anschließend an die Filmvorführung am 16. Juni hat er mit Zornitsa Ganeva über die Zustände in dem Flüchtlingslager bei Sofia diskutiert. Zornitsa Ganeva schrieb ihre Master-Arbeit an der Universität Ruse zu dem Thema „Menschenhandel“ und ist als Freiwillige bei der Caritas aktiv.

Das Projekt wurde finanziell ermöglicht durch die Deutschen Botschaft Sofia. Wir bedanken uns für die Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz und allen beteiligten Gymnasien.